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AMNOG-Kurzreport 2024: Vertrauliche Erstattungsbeträge. Fluch oder Segen?

Viele Tabletten liegen auf mehreren 200-Euro-Scheinen.

Hintergrund

Verbesserte Rahmenbedingungen für den Pharma-Standort Deutschland zu schaffen, dies war eines der Ziele des von der Bundesregierung im Dezember 2023 vorgelegten Pharma-Strategiepapiers. Die darin beschriebenen Maßnahmen, welche sich auf die nutzenbasierte Preisbildung neuer Arzneimittel beziehen sind im Wesentlichen zwei: Eine erneute Bewertung der Feinjustierungen am AMNOG-Verfahren aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (kurz: FinStG), welche Ende 2024 dann zwei Jahre nach Verabschiedung des FinStG zeigen soll, welche Effekte mit Einführung der Leitplanken, des Abschlags auf Kombinationstherapien, der schnelleren Rückwirkung verhandelter Erstattungsbeträge und der Absenkung der Orphan-Schwelle verbunden sind. Ebenfalls vorgesehen und inzwischen auch im Referentenentwurf des Medizinforschungsgesetzes (MFG) beschrieben soll pharmazeutischen Unternehmern zukünftig die Möglichkeit geschaffen werden, zu entscheiden, ob der nutzenadjustierte Erstattungsbetrag eines neuen Arzneimittels vertraulich sein soll.

Chancen und Risiken

Diese Idee ist indes nicht neu. Bereits im Pharmadialog der Jahre 2014 bis 2016 und im darauffolgenden Referenten- und Kabinettsentwurf für das Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMVSG) war vorgesehen, auf die öffentliche Listung der Verhandlungsergebnisse zu verzichten. Die Begründung damals wie heute: Durch internationale Preisreferenzierungsmechanismen steht ein quasi öffentlich sichtbarer Preis eines Arzneimittels im Schaufenster für andere Länder. Dadurch geht Verhandlungsspielraum verloren. Oder anders ausgedrückt: Wären die tatsächlichen Preise neuer Arzneimittel vertraulich, könnten Sie niedriger sein. Eine aus der ökonomischen Theorie nachvollziehbare Argumentation. Und doch hat es der vertrauliche Erstattungsbetrag 2016 nicht in die Praxis geschafft. Nun sollen vertrauliche Preise neuer Arzneimittel ermöglicht werden. Allerdings nicht pauschal, sondern nur auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers.

Umsetzungsfragen

Unklar ist noch die konkrete Umsetzung eines vertraulichen Erstattungsbetrages. Das MFG beschreibt, dass pharmazeutische Unternehmer zukünftig die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren. Die Vertraulichkeit gilt bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes. Die pharmazeutischen Unternehmer werden zudem verpflichtet, den vertraulichen Erstattungsbetrag den Anspruchsberechtigten mitteilen und die Differenz zum tatsächlich gezahlten Abgabepreis ausgleichen. Die betrifft auch einen Ausgleich der Überzahlungen der Apotheker und Großhändler, deren Aufschläge zukünftig wieder auf den höheren Listenpreis anzurechnen sind (Abbildung). Ein bereits komplexes System könnte so noch einmal etwas komplexer werden.

Das AMNOG-Verfahren mit vertraulichem Erstattungsbetrag

Grafik: AMNOG-Verfahren mit vertraulichem Erstattungsbetrag.

Kein Nutzen ohne Kosten!

Empirisch ist der Nutzen einer Preisvertraulichkeit ebenso wie der einer Preistransparenz von Arzneimitteln bislang nicht hinreichend belegt. Je nach Perspektive sind aus der Theorie Vorteile einer Preisvertraulichkeit hinsichtlich der Nachfragemacht und der Möglichkeit zur effizienten Preisdiskriminierung nicht von der Hand zu weisen. Individuelle Vorteile für ein Gesundheitssystem scheinen angesichts einer in entwickelten Industrienationen derzeit nahezu vollständig verbreiteten Vertraulichkeit verhandelter Arzneimittelpreise ebenfalls evident. Allerdings ist in Deutschland das System aus freiem Marktzugang bei freier Preisfestsetzung durch den pharmazeutischen Unternehmer auch einzigartig. Neben den aus früheren Debatten bereits diskutierte Nachteile hinsichtlich des Mehraufwandes zur Abwicklung vertraulicher Preise in der Handelskette sowie negativer Kollateraleffekte auf bestehende Regulierungen wie Wirtschaftlichkeitsprüfungen und ergänzenden selektiven Rabattvereinbarungen werden auch Bedenken dahingehend geäußert, dass vertrauliche Preise insbesondere hochpreisiger Arzneimittel gesellschaftliche und systemische Debatten um die Sicherstellung einer fairen und bezahlbaren Arzneimittelversorgung langfristig konterkarieren könnte.

AMNOG-Kurzreport 2024

Wie stehen die Chancen heute? Und was spricht für, was gegen vertrauliche Erstattungsbeträge neuer Arzneimittel? Fragen, auf die der DAK-AMNOG-Kurzreport Antworten durch umfassende Prozessanalysen und Statements relevanter Stakeholder aus dem AMNOG-Prozess gibt. 

Zentrale Ergebnisse des Reportes sind hier zusammengefasst:

Grafik: Tabelle mit zentralen Ergebnissen des AMNOG-Reports 2024.


Auf ein Wort

  • Porträt Andreas Storm

    Das Versprechen auf weitere Einsparungen klingt angesichts des ungebremsten Ausgabenwachstums bei neuen Arzneimitteln verlockend, allerdings nur auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung bleiben höhere Rabatte zunächst nur ein Versprechen, welches schwer zu überprüfen sein wird. Die Aufgabe von Transparenz ohne die Möglichkeit ergänzender Steuerungsmaßnahmen erscheint bei den Herausforderungen, eine nachhaltige und leistungsfähige Arzneimittelversorgung dauerhaft sicherzustellen, kontraproduktiv.

    Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit


  • Porträtfoto von Professor Doktor Wolfgang Greiner

    Aus ökonomischer Sicht bieten vertrauliche Erstattungsbeträge unbestreitbare Vorteile, und sind auch heute schon fest in der Arzneimittelversorgung verankert. Dabei könnten vertrauliche Preise ein nützliches Instrument sowohl für die pharmazeutische Industrie als auch die gesetzlichen Krankenversicherungen sein, um die Verfügbarkeit neuer Arzneimittel zu angemessenen Preisen sicherzustellen.

    Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld

Downloads zum AMNOG-Kurzreport 2024

Aktualisiert am:
040 325 325 555

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