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Problematische Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen in der post-pandemischen Phase

DAK Mediensuchtstudie 2023: Junges Mädchen sitzt in einem dunklen Raum und schaut auf Ihr Handy.

Seit 2019 führt das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) im Auftrag der DAK-Gesundheit eine Längsschnittstudie zum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland durch. Die Längsschnittstudie ermöglicht Mediennutzungsmuster von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und die Prävalenz des problematischen Nutzungsverhaltens über den Ausbruch der Pandemie hinweg abzubilden. Die Stichprobe umfasst zu jedem Erhebungszeitpunkt rund 1.000 zehn- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche und jeweils ein Elternteil aus repräsentativ ausgewählten deutschen Haushalten. In der sechsten Erhebungswelle (September 2023) wurde untersucht, wie sich die Mediennutzung unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland in der post-pandemischen Phase entwickelt. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der problematischen Nutzung sozialer Medien und assoziierte Faktoren.

Auf einen Blick: zentrale Ergebnisse der sechsten Befragungswelle

Nutzungszeiten

  • In der post-pandemischen Phase verbringen junge Menschen im Vergleich zu während der Pandemie wieder etwas weniger Zeit online. Die Nutzungszeiten digitaler Spiele erreichen mit 98 Minuten werktags und 168 Minuten am Wochenende erstmalig wieder prä-pandemisches Niveau. Auch bei der Nutzung von sozialen Medien (werktags: 150 Minuten; Wochenende: 224 Minuten) und Video-Streaming-Diensten (werktags: 98 Minuten; Wochenende: 155 Minuten) sind verglichen zum Vorjahr rückläufige Trends zu beobachten.

Problematische Mediennutzung

  • Erstmals seit Beginn der Pandemie zeigt sich ein signifikanter Rückgang in der pathologischen Nutzung digitaler Spiele unter Kindern und Jugendlichen (p < 0,05). Mit 4,3 % (2022: 6,3 %) ist die Prävalenz der Computerspielstörung wieder auf dem Niveau von Mai/Juni 2021. Jungen sind wie im Vorjahr fast doppelt so häufig betroffen wie Mädchen (5,6 % vs. 3,1%). Es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen jüngeren (zehn bis 13 Jahre) und älteren Altersgruppen (14 bis 17 Jahre). Die riskante Nutzung bleibt mit einer Prävalenz von 11,1 % verglichen zum Vorjahr (11,8 %) statistisch unverändert (n.s.).
Mediensucht: Grafik zur problematischen Nutzung digitaler Spiele unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf.

Abb.1. Problematische Nutzung digitaler Spiele unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf (Hinweis: nicht in allen Wellen erhoben).

  • Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit pathologischem Nutzungsverhalten in Bezug auf soziale Medien bleibt mit einer Prävalenz von 6,1 % weiterhin hoch und statistisch unverändert zum letzten Jahr (n.s.). Es gibt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Jugendliche (14 bis 17 Jahre) sind signifikant häufiger betroffen als Kinder (7,6 % vs. 4,6 %; p < 0,05). Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die soziale Medien riskant nutzen, hat sich mit aktuell 24,5 % seit 2019 bereits verdreifacht. 
Mediensucht: Grafik zur problematischen Nutzung sozialer Medien unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf.

Abb. 2. Problematische Nutzung sozialer Medien unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf (Hinweis: nicht in allen Wellen erhoben).

  • Pathologische Nutzungsmuster im Hinblick auf Video-Streaming-Dienste haben sich von 2,4 % im Vorjahr auf 1,2 % im September 2023 halbiert (p < 0,05). Es gibt keine alters- oder geschlechtsspezifischen Unterschiede. Bei den riskanten Nutzungsmustern zeigen sich im Vergleich zum Vorjahr keine bedeutsamen Veränderungen (n.s.).
Mediensucht: Grafik zur problematischen Nutzung von Video-Streaming-Diensten unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Abb. 3. Problematische Nutzung von Video-Streaming-Diensten unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit erstmaliger Erhebung im Juni 2022.

Problematische Nutzung sozialer Medien & assoziierte Faktoren

  • Psychische Gesundheit: Problematische (d.h. riskante oder pathologische) Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien berichten verglichen mit unauffälligen Nutzerinnen und Nutzer deutlich häufiger von depressiven Symptomen (p < 0,001; d = 0,54), Angstsymptomen (p < 0,001; d = 0,45) und einem höheren Stresslevel (p < 0,001; d = 0,57). Gleichzeitig fehlen ihnen adaptive Regulationsstrategien, um mit negativen Emotionen und Stress umzugehen – sie weisen verglichen mit unauffälligen Nutzerinnen und Nutzern Emotionsregulationsdefizite (p < 0,001; d = 0,79) sowie ein niedrigeres Achtsamkeitslevel (p < 0,001, d = 0,36) auf.
  • Familiäre Umgebung: Eltern von Kindern ohne problematische Nutzungstendenzen sind insgesamt deutlich zufriedener mit der Kommunikation innerhalb der Familie (p < 0,001, d = 0,56) sowie der Familienfunktionalität (p < 0,001, d = 0,71). Eltern von Kindern mit riskanten oder pathologischen Nutzungsmustern haben hingegen häufiger das Gefühl, dass in der Familie nicht ausreichend über Probleme und Gefühle gesprochen wird, zu wenig Zeit miteinander verbracht wird oder sie sind unzufriedener damit, wie Konflikte gelöst werden.
  • Elterliche Medienkompetenz: Jeder vierte bis fünfte Elternteil gibt an, sich Sorgen um die Mediennutzung seines Kindes zu machen (23 %) und äußert Unsicherheiten und Unterstützungsbedarfe in der Medienerziehung (23 %); fast jedes dritte Elternteil sieht sich nicht als Vorbild für die Mediennutzung seines Kindes (27 %). Eltern von Kindern mit problematischen Nutzungsmustern fühlen sich in ihrer Medienerziehung deutlich weniger selbstwirksam als Eltern von Kindern ohne Problemverhalten (p < 0,001, d = 0,74). Eine niedrig empfundene digitale Selbstwirksamkeit wirkt sich dabei auch auf das Regelverhalten der Eltern aus: Verglichen mit selbstwirksamen Eltern führen unsichere Eltern signifikant seltener medienfreie Zeiten (52 % vs. 72 %; p < 0,01) und Regeln zur inhaltlichen Nutzung (71 % vs. 84 %; p < 0,001) ein und aufgestellte Regeln werden deutlich weniger konsequent umgesetzt (61 % vs. 89 %; p < 0,001).

Fazit

  • Rückläufige Nutzungszeiten sowie sinkendes pathologische Nutzungsverhalten im Hinblick auf digitale Spiele und Video-Streaming-Dienste unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland weisen auf eine gewisse Normalisierung der Mediennutzung nach dem intensiven Online-Verhalten während der Pandemie hin. Dies gilt jedoch nicht für die problematische Nutzung sozialer Medien, die in der post-pandemischen Phase insgesamt mehr als 30 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland betrifft. 
  • Es besteht auch nach der Pandemie ein großer Bedarf an niedrigschwelligen, nachhaltigen und langfristigen Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen: Vor allem bereits riskante Nutzungsmuster sollten frühzeitig erkannt werden, um einen Übergang in pathologische Nutzungsmuster zu verhindern. Eltern, Schule und Hilfeeinrichtungen müssen für erste Anzeichen sensibilisiert werden. 
  • Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Bedeutung von psychischer Gesundheit, familiärer Umgebung und elterlicher Medienkompetenz im Zusammenhang mit problematischer Mediennutzung. Präventive Maßnahmen sollten nicht nur individuelle Regulationsstrategien der Heranwachsenden stärken, sondern auch auf familiärer und elterlicher Ebene ansetzen, um gesunde Mediengewohnheiten bei Kindern und Jugendlichen zu fördern.


Auf ein Wort

  • Porträtfoto von Prof. Dr. Rainer Thomasius

    Der hohe Anteil der Kinder und Jugendlichen, die soziale Medien, digitale Spiele und Streaming-Dienste in einem die Gesundheit gefährdenden Ausmaß nutzen, ist besorgniserregend. In jeder vierten Familie äußern Eltern Unsicherheiten und Unterstützungsbedarf bei der Anleitung ihrer Kinder. Medienerzieherische Maßnahmen und frühe Hilfen müssen sich daher gleichermaßen an Kinder und ihre Eltern richten, um eine gesunde und altersadäquate Mediennutzung in der nachwachsenden Generation zu fördern.

    Prof. Dr. Rainer Thomasius, UKE Hamburg

Download: Studie

Methodik und Auswertung

Bei der Längsschnittstudie handelt es sich um eine Online-Befragung, die durch das Meinungsforschungsinstitut forsa durchgeführt wird. Befragt werden Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren und jeweils ein dazugehöriger Elternteil. Zu jeder Erhebungswelle werden einerseits die Familien kontaktiert, die bereits an vorherigen Wellen teilgenommen haben, andererseits aber auch neue Familien befragt, um die Repräsentativität der Stichprobe für die 10- bis 17-Jährigen zu gewährleisten. Durch die Wiederholungsbefragung sind einige Kinder und Jugendliche bereits älter als 17 Jahre, diese werden in den repräsentativen Trendergebnissen nicht mitberücksichtigt. In der sechsten Erhebungswelle umfasste die Repräsentativstichprobe 1083 befragte Familien. Der Erhebungszeitraum war 29. August – 18. September 2023.

Im Rahmen der Befragung wurden standardisierte psychologische Instrumente und Einzelitems zur Nutzung von digitalen Spielen, sozialen Medien und Streaming-Diensten eingesetzt. Zur Erfassung der Computerspielstörung sowie dem riskanten Gaming anhand der ICD-11-Kriterien wurde der validierte Fragebogen GADIS-A (engl. Gaming Disorder Scale for Adolescents) (1) eingesetzt. Basierend auf den ICD-11-Kriterien zur Computerspielstörung wurden die validierten Fragebögen SOMEDIS-A (engl. Social Media Disorder Scale for Adolescents) (2) und STREDIS-A (engl. Streaming Disorder Scale for Adolescents) (3) zur Erfassung von riskanter und pathologischer Nutzung von sozialen Medien und Streaming-Diensten eingesetzt. Eine ausführliche Beschreibung aller verwendeter Messinstrumente befindet sich im Booklet zur Studie.

Die statistischen Analysen wurden mittels etablierter statistischer Verfahren mit nachfolgender Ergebnisinterpretation durch das DZSKJ durchgeführt. Dafür wurden die Statistikprogramme R und SPSS genutzt. Für den vorliegenden Ergebnisbericht wurden überwiegend deskriptive Ergebnisse dargestellt (z.B. relative Häufigkeiten, standardisierte Mittelwerte). Die statistischen Signifikanzen wurden abhängig vom Skalenniveau mittels t-Tests oder Chi-Quadrat-Tests (zweiseitig) errechnet. Ein Wert von p < 0,05 wird als statistisch signifikant gewertet. Angaben sind in der Regel gerundet. Effektstärken wurde mithilfe von Cohen's d erfasst. Ein Cohen's d-Wert von 0,2 wird als geringfügiger Effekt betrachtet, während Werte ab 0,5 als moderater und ab 0,8 als starker Effekt gelten.

Referenzen

  1. Paschke K, Austermann MI, Thomasius R. Assessing ICD-11 Gaming Disorder in Adolescent Gamers: Development and Validation of the Gaming Disorder Scale for Adolescents (GADIS-A). J Clin Med. 2020;9(4).
  2. Paschke K, Austermann MI, Thomasius R. ICD-11-Based Assessment of Social Media Use Disorder in Adolescents: Development and Validation of the Social Media Use Disorder Scale for Adolescents. Front Psychiatry. 2021;12:661483.
  3. Paschke K, Napp AK, Thomasius R. Applying ICD-11 criteria of Gaming Disorder to identify problematic video streaming in adolescents: Conceptualization of a new clinical phenomenon. J Behav Addict. 2022;11(2):451-66.
Aktualisiert am:
040 325 325 555

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